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Das Handwerk

Deutschland verzwickelt

Nach dem schönen Ausflug an den italienischen Strand auf der vorigen Seite und seine Umgebung führt die Bademoden-Zeitreise nach Deutschland, auch hier 1930er Jahre. Der preußische Reichskommissar und Innenminister Franz Bracht verhängte im Herbst 1932 den so genannten Zwickelerlass, der peinlich genau regeln sollte, welche Körperteile Mann und Frau zu verhüllen hatten. An den deutschen Stränden und Badeseen patrouillierten fortan Badepolizisten, um mit dem Zentimetermaß über die Einhaltung der gestrengen Kleiderordnung zu wachen. Um einen optischen Eindruck der verordneten Badekleidung zu vermitteln, hier eine Zeichnung:

Gestattet!
Verboten!
Gestattet!
Verboten!
Verboten!
Verboten!

In der Presse machte man sich über den »Zwickelerlass« lustig

Frankfurter General-Anzeiger, 4. Okt. 1932: »Die preußische Badehose«

Die neue Verordnung scheint nebenbei auch zu den Ankurbelungsversuchen der Wirtschaft zu gehören, denn diese Bestimmungen bedeuten für viele eine neue, immerhin nicht unbeträchtliche Ausgabe. Namentlich die Männer, die sich bisher in Badehosen ergingen, werden nicht gerade erfreut sein, jetzt das Volltrikot anschaffen zu müssen.

Selbst Italien, daß Land der strengsten Badesitten, ist heute tolerant genug, die Hose mit angeschnittenen Beinen im Familienbad zu dulden (am Lido durchaus möglich). Was an der lasterhaften französischen Riviera an Badekostümen erlaubt ist, wagt man gar nicht aufzuzählen!

Wohl oder übel werden die Männer, die auf die Annehmlichkeiten des Familienbades nicht verzichten wollen, der Losung folgen müssen: Rin in das Trikot! Bräunungsversuche müssten dann allerdings in separaten Bädern vorgenommen werden, denn das Trikot unter die Barriere der neuen Sittlichkeit, die Schulter zu senken, wird wohl Strafzettel zur Folge haben. Trösten wir uns mit den Damen, die wohl auch ihre Trikotsorgen haben werden: angeschnittene Beine, genau abtaxierte Rückenauschnitte bis zum unteren Ende der Schulterblätter (wer misst nach? Die Polizei?) und dann für beide Geschlechter gemeinsam: der ominöse Zwickel.

Was ist ein Zwickel? Wir haben eine Rundfrage bei Fachleuten unternommen und erfahren: Ein Zwickel ist ein viereckig geschnittenes Stück Stoff im Schritt, besp. in der Gegend, wo die Schrittbewegung zusammenläuft. Dort dient er zur Festigung und Verbreiterung der Stoffbasis (verstehen Sie's jetzt?). Die Devise für den Sommer 1933 lautet jedenfalls: Bade mit Zwickel! Zwickellose nicht zugelassen! Ein Verein der Zwickelfreunde sowie der Zwickelgegner ist bereits in der Gründung begriffen. Über die Zwickel-Strafen verlautet bis jetzt noch nichts, doch dürfte Zwickellosigkeit im Wiederholungsfall zu energischen polizeilichen Zugriffen führen.

Ein Gutes hat die Verordnung: Wer in Bädern anderer Länder mit einem Zwickel getroffen wird, ist als Bracht'scher Untertan hinreichend gekennzeichnet. »Ich bin ein Preuße, kennst Du meinen Zwickel?«

Zuständigerseits wird übrigens erklärt, dass der Erlass der Ausführungsbestimmungen zur preußischen Badeverordnung von der Fachindustrie dringend gefordert wurde. Die Badebekleidungsindustrie beginnt bereits jetzt mit ihren Vorbereitungen für die nächste Sommersaison.

Obenstehender Artikel ist im Original hier zu finden. In der von Karin Haab zusammengestellten und kommentierten Arbeit finden Sie weitere Artikel von damals.

Als die Bikini-Bombe hochging: Sie entstieg dem Meer - und 007 fiel nichts mehr ein. Bond-Girl Ursula Andress machte in den sechziger Jahren den Bikini zum Modehit. Kaum zu glauben: Vier Dekaden zuvor planschte man noch in Korsetts und Kleidern. Die Internetseite »einestages« zeigt Erfolgsmodelle und Entgleisungen der Bademodegeschichte; von Katja Iken, mit supertollen Fotos!

Und das hier ist beim Lesen kaum zu glauben: Der Ortspfarrer von Friesoythe schaffte es, die Badeordnung samt Zwickelerlass von 1932 zu toppen! Hier ein Textauszug zum Anregen des Leseappetites:

 

Die Wasserpredigt 29.7.1959 - Badeordnung

Auf dringliche Empfehlung des rangältesten Ortspfarrers beschloß der Friesoyther Stadtrat, im städtischen Freibad die Geschlechter nur noch getrennt baden zu lassen. Nur für Familien wird das strenge Bade-Reglement für ein paar Stunden in der Woche aufgehoben. Die ledigen Bürger und Bürgerinnen der kleinen Stadt baden zu verschiedenen Zeiten - damit das »vorzeitige Erkennen der Geschlechter« verhütet werde.


Das Wächteramt vor dem Baum frühreifer Erkenntnis versieht in Friesoythe der Dechant August Wehage. Gerade noch früh genug - bevor die Hitzewelle seine Pfarrkinder enthemmen und unsortiert nach Mann und Weib ins Freibad treiben konnte - forderte der geistliche Herr Mitte Juni die Trennung der Geschlechter.

Von der Kanzel der örtlichen St.-Marien-Kirche herab wetterte der 50jährige Geistliche gegen das »gemeinschaftliche Baden von Personen verschiedenen Geschlechts«. Die moderne Badekleidung, sei sie auf figurbetonende Effekte hin geschnitten oder nicht, fördert nach Ansicht des Pfarrers die Entdeckerfreude auch zehnjähriger Kinder schon so ungemein, dass von diesem Alter an nur das getrennte Baden der, Geschlechter Sitte und Moral gewährleisten kann. Auf der Seite des »Spiegels« vom 29.7.1959 können Sie weiterlesen.

Interessant sowohl der Bilder als auch der Geschichte wegen sind die Seiten des Strandbades Wannsee. Die amüsanten Karikaturen Heinrich Zilles dürften unter anderem durch Besuche des Berliner Freibades inspiriert worden sein.