Ein Mosaik aus Bergbahngeschichte und Erinnerungen von Kofel-Gästen der 1960er und 1970er Jahre
Bereits vor dem ersten Weltkrieg hatte man mehrmals über die Errichtung einer Seilschwebebahn von Igls auf den Innsbrucker Hausberg nachgedacht. Der erste Weltkrieg verhinderte die Umsetzung solcher Pläne, Mitte der 1920er Jahre jedoch konnte endlich die Gründung der »Patscherkofel-Drahtseilbahn-AG« erfolgen. Der erste Spatenstich erfolgte am 15. Mai 1927, am 31. Jänner 1928 veröffentlichte das Bundesministerium für Handel und Verkehr eine für uns heute in der Formulierung witzig klingende Kundmachung, betreffend die »Erteilung der Konzession für eine mit elektrischer Kraft zu betreibende, als Seilschwebebahn auszuführende Kleinbahn von Igls - Seilschwebebahn über Heiligwasser auf den Patscherkofel.«
Am 14. April 1928 konnte die Patscherkofelbahn mit einer großen Feier eröffnet werden, zum ersten Mal schwebten nun die hier auf vielen Ansichtskarten und Prospekten gezeigten Kabinen gen Bergstation. Bei den Gondeln handelte es sich um Standard-Bleichert-Kabinen: Laufwerk, Gehänge und Rahmen der Wagen waren aus Stahlblech gefertigt, das Eisengerüst war mit Holz verkleidet, welches in Grundfarbe »creme« mit braunroten Fensterahmen gestaltet war.
Diese Farbgestaltung hatte leider Nachteile: Seilfettrückstände auf der hellen Farbe ließen die Kabinen schnell matt und unansehnlich werden. Zeitnah zum Bau der Patscherkofelbahn liefen die Arbeiten an der im gleichen Jahr zu eröffnenden Nordkettenbahn, deren Betreiber gleichartige Kabinen der Firma Bleichert in gleicher Farbgestaltung längst bestellt hatten. Der Anblick der verschmutzten Wagen muss sie wohl erschreckt haben, änderten sie doch eiligst ihre Bestellung und orderten für die Nordkette Kabinen in dunklem olivgrün mit naturfarben gebeizten Fensterrahmen.
Die Gondelwelt war also wesentlich bunter, als die vielen alten schwarz-weiß-Aufnahmen ahnen lassen, das Auffinden auch nur eines einzigen farbigen Bildes der Patscherkofelbahn in den 1930er Jahren dauerte ein halbes Jahr, und bei dem Fundstück handelt es sich um einen winzigen 5cm hohen Kühlschrankmagneten mit einem Prospektmotiv in holländischer Sprache, der von einem Del-Campe-Anbieter aus Istanbul feilgeboten wurde;-)
Diese ersten Gondeln transportierten die Winter- und Sommergäste bis nach dem zweiten Weltkrieg, als der Fremdenverkehr wieder zunahm, wurden einige kleine Umbauten vorgenommen, doch die ständig steigende Gästezahl verlangte mehr, 1962 wurde ein Großumbau begonnen: es erfolgten weitere technische Verbesserungen sowie die Umstellung auf einen Betrieb mit nun 4 Gondeln.
Eine Seilbahn allein genügte jedoch längst nicht mehr, die Menge der Skifahrer wuchs ebenso kontinuierlich wie deren Ansprüche, zuvorderst das Bedürfnis nach bequemeren Aufstiegsmöglichkeiten mittels weiterer Liftanlagen.
Bereits im Prospekt von 1951 zeigt der Ortsplan drei weitere Skilifte; es dürfte sich um zwei Übungslifte im unteren Bereich sowie den "großen" Einersessellift handeln, der rechts neben der Bergstation der Seilbahn seinen Endpunkt hatte. Diese Art Skilifte der Endvierziger bis Anfang 1950er Jahre Periode scheinen recht skurrile Anlagen gewesen zu sein, noch etwas unausgegoren, sozusagen im Entwicklungsstadium befindlich, hatten sie gewisse Tücken und verlangten von ihren Benutzern einen erhöhten Grad an Aufmerksamkeit. Die folgende Schilderung ist einem Fahrgast aus Telfs zu verdanken, der als Kind jenen ESL noch erleben konnte:
»Meine Eltern hatten mir als Knirps vor der ersten Fahrt am Patscherkofel dringlich eingeschärft, unbedingt die Skispitzen immer hoch oben zu halten. Als bei einer Fahrt vor mir dann zuerst eine kleine Pulverschneewolke aufstieg, der Sessel plötzlich »durchsichtig« war und ich direkt über den Rücken eines Gastes schwebte, welcher kopfüber im Schnee steckte, wusste ich, dass der Hinweis meiner Eltern sehr nützlich war. Die Sessel hatten damals noch keine Sicherheitsketten geschweige denn Schließbügel und Fußrasten. Bei erhöhter Schneelage musste die Trasse ausgeschaufelt werden, weil die Seilhöhe viel zu niedrig war. Dadurch bestand immer die Gefahr, dass die herunterhängenden Skispitzen steckenblieben und die Gäste sich so selbst aus den Sesseln katapultieren.«
Der Herr, der diese Begebenheit und die Gründe dafür so treffend beschreibt, baut übrigens heute Modell-Lifte. Gerade solche der hier beschriebenen Art scheinen seine besonderen Lieblinge zu sein, sind ihre Bauweise und Funktion doch um ein vielfaches charmanter und filigraner gewesen als die klotzigen Liftstützen und überall gleichen Systeme heutiger Tage.
Unsere Mama legt einen Pistenraupen-Stunt hin
Der witzige Sessellift musste später einem moderneren Schlepplift weichen: Der sogenannte »Ochsalm-Schlepplift« wurde errichtet, mit dem für uns eine recht besondere Erinnerung verknüpft ist. Gegen Ende eines Skitages am Patschi Mitte der 1970er Jahre waren einige Mitglieder unserer Familien- und Freunde-Gruppe die Letzten, die kurz vor Betriebsschluss auffuhren, nach uns sollte Betriebsschluss sein. Nicht bei jedem Schlepplift-Duo passte die Gewichtsverteilung, meine Mutter und meine kleine Schwester, die erst knapp sechs Jahre alt war, kamen ins Straucheln und fielen aus dem Lift. Uns anderen, die wir das Pech beobachteten, rief Mama zu, wir sollten oben Bescheid sagen, sie würden durch den Wald zum Pistenrand gehen. Über die Schulter mehrmals zurückblickend, konnte ich noch sehen, wie sie sich durch den Schnee zu wühlen begannen, meine Schwester ein in den Schneemengen kaum sichtbarer Zwerg.
Oben angekommen, informierte unser aufgeregter Großvater Leute an der Bergstation, eine Pistenraupe sollte die Verlorenen aufsammeln. So besorgt und dadurch etwas kopflos, wie er in dem Moment war, bestieg auch der Großvater die Raupe, was dann bei Auffinden der beiden am Pistenrand Angekommenen ein Problem verursachte: Es war Platz für den Fahrer, den Opa und meine kleine Schwester, aber nicht für Mama...kurzerhand schlug der Raupenmann vor, Mama solle ganz einfach hinten mitfahren, woraufhin sie das Gefährt erkletterte und dann hinter dem Führerhaus in Stellung ging, sich an irgendwas daran festklammernd. Die Fahrt ging los, teilweise erklomm die Raupe recht steile Passagen, und Mama klebte hinten drauf. Ohne weitere Vorfälle wurde die Bergstation erreicht, wo der restliche Hamburger Clan wartete. Opa ging es gar nicht gut, der hatte nämlich schreckliche Angst um seine Tochter gehabt. Mama ging es gut - Jahre später erzählte sie mir auf meine Frage nach der Geschichte: »Angst - nö. Das war super spannend und aufregend, wär ich runtergefallen, wär ich ja nach hinten gerutscht, die Raupe war ja mit Metall verkleidet, ich wär bestimmt nicht irgendwo drunter geraten, wenn ich gestürzt wäre. Eigentlich war das ganz toll, wie ein Stunt beim Film - schade, dass es niemand filmen konnte«
Abfahrt vom Gipfel - die Hamburger zwangsweise im wilden Gelände und der Schneetänzer
Eines Tages wollten wir endlich auch einmal die Abfahrt vom Gipfel nehmen, man hatte uns öfter davon erzählt, meinte, diejenigen von uns, die schon etwas länger skifahren, könnten das lässig packen. Das die Abfahrt nicht so ganz einfach sein sollte, hatten wir gehört, aber auch, das es gar nicht so schlimm sei. So bestiegen also diejenigen von uns, die schon mehrere Jahre Ski fuhren, den 1961 erbauten Einersessellift zum Gipfel - ich war natürlich dabei. Es muss 1976 gewesen sein, das Jahr, in dem Franz Klammer im butterblumengelben Ganzkörperkondom am Kofel olympisches Gold holte und ich mir von einer Einheimischen anhören musste, dass ich sowieso nie richtig skifahren können würde und Deutsche ohnehin alle schlechte Skifahrer seien, die nix gewinnen, das Titelblatt einer Zeitschrift mit Klammer auf dem Titelbild hielt sie mir dabei vor die Nase. Gegenargumente fielen mir nicht ein, das Rosi Mittermaier - Deutsche! - auch sehr erfolgreich war, hatte ich in meiner Verärgerung gar nicht auf dem Schirm. Der Gipfel des Kofel, das musste jetzt sein, das wollen wir doch mal sehen!
Wir kamen oben an und die Erwachsenen beratschlagten, irgend etwas schien nicht richtig zu sein. Alle starrten die Abfahrt hinunter, ich meine sie begutachteten das, was eigentlich eine Abfahrt sein sollte. Da war keine, es waren Stellen von Eisplatten, kahle Stellen, aus denen Felsen herausguckten, und einige Reste, die so ähnlich wie Schnee aussahen...Der wirkliche, richtige und schöne Schnee lag überall hingepustet neben der Piste, in Mengen. Der Familienrat beschloss, den Versuch zu wagen und im Gelände neben der Piste »abzufahren«. Ich fuhr also mitten hinein in den fast unberührten Schnee, viele waren da oben nicht vor uns gewesen, und merkte schnell, das hier war eine ganz andere Angelegenheit. Der erste Sturz erfolgte in Bälde, und auch die Familie purzelte überall herum. Es ging also fahren-plumpsen-aufstehen-fahren-plumpsen-aufstehen in einem fort. Es war schwer, aber es war toll, das stob und glitzerte schön, skifahren jedoch konnte man DAS nicht nennen...
Nach meinem xten Sturz blieb ich einem Moment erschöpft im Pulverschnee sitzen und sah mich nach den anderen um.
Und da kam ER von oben. Ein Mann, schlank und gewandt, schnell. Er hupfte und sprang durch den Schnee, er tänzelte mit einer Leichtigkeit den Hang herunter, Bewegungen von kraftvoller Geschmeidigkeit, staunend verfolgte ich das elegante Wunder mit meinen Blicken, heute wüsste ich den passenden Namen für ihn: der Schneetänzer. Schnell war er vorbei, er bemerkte mich nicht einmal, vollkommen konzentriert auf seinen Weg. Ein letzter Schwung und Hupf, war er hinter der Kante verschwunden, nur eine irisierende Pulverschneewolke in der Luft erinnerte noch daran, das er tatsächlich da gewesen war.
Wie schöööön ... ich konnte tatsächlich nicht wirklich skifahren...
Irgendwie fanden dann alle wieder am Treffpunkt zusammen, erschöpft und hungrig, eine lachte, hey, das war witzig, wenn man stürzt, fühlt man sich, als würde man gleich in Innsbruck auf die Straße fallen, was für ein verrücktes Gefühl! Alle hatten es geschafft, niemand hatte sich was gebrochen, einige fanden, das war ein Mist, warum sagt am Lift niemand, wie es da oben aussieht?
Ich dachte an den Schneetänzer. Bestimmt wohnte der hier, der konnte immer fahren wann er Lust hat...also kann man das auch nicht vergleichen. Ich beschloss, nicht traurig zu sein, sondern einfach eben so skizufahren, wie ich es halt konnte, und den Anblick von wilden Schneetänzern neidlos zu geniessen. Zu geniessen - denn der Anblick war ein Genuss, wie es immer ein Genuss ist, Harmonie in der Bewegung und Können vereint zu sehen, und die reine Fahrfreude zu sehen.
Empfehlungen und Quellen
Eine ungewöhnliche Fotostrecke des winterlichen Patscherkofel findet sich auf der Seite Retro-Futur. Der Seitenbetreiber hat den Patscherkofel, die Seilbahn und Umgebung im Detail und aus seltenen Perspektiven auf eine sehr persönliche Art in Bildern festgehalten, mit den Augen eines Kofel-Fans, treffender ausgedrückt: Kofel-Liebhabers.
Im Buch »Stadtflucht 10m/sec« von Roland Kubanda - Innsbruck und die Nordkettenbahn wurden die Informationen zu Hersteller und Farben der ersten Gondeln gefunden. ISBN 3-7065-1890-2
Die Teile der Seilschwebebahn- und Skilift-Geschichte wurden zusammengesetzt aus den Angaben im geschichtlichen Teil der Homepage der
Patscherkofelbahnen sowie aus Hinweisen und Erzählungen von Usern der
Historienabteilung des Alpinforums.
Einen herzlichen Dank an die User für die hilfreichen Auskünfte.
Schlusstext - Patscherkofel heute - noch in Arbeit