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Das Handwerk

1912 Ansichtskarte Dame mit Ski

 



Was uns eine Postkarte alles erzählen kann

Die Kleidung und Ausrüstung der Dame

Übrigens, vorab: Der Poststempel von 1912 sagt keineswegs, das die Illustration dieser Skidame 1912 entstanden ist.Sie könnte auch sehr gut früher entstanden sein, denn erste Damenskihosen kamen bereits kurz nach der Jahrhundertwende in Gebrauch. Und die Illustration sowie der Druck derselben brauchten ebenfalls ein wenig Vorlauf.

Der Hut
Er ist das modischste Accessoires der Ski-Lady auf diesem Bild, ganz im Stil der Belle Epoche etwas ausladender, dennoch schlicht in der Wirkung, die Dame verzichtete auf Federn und Besätze.

Modische Hüte konnten damals durchaus bis 60 cm Breite aufweisen, dieser Hut reicht aus, um die Haarmassen der Skiläuferin aufzunehmen. Auch diese Dame trägt langes Haar in einer lockeren, gelegten und nach hinten gesteckten Frisur, die nach viel Raum unter dem Hut verlangt.
Der Hut war nicht nur aus modischen Gründen für viele Damen  unververzichtbar, sondern eine Notwendigkeit gerade beim Skilaufen, denn die Krempe schützte die Augen davor, von der Sonne geblendet zu werden, ebenso wie  bei einsetzendem sanften Schneefall das Fliegen der Flocken in die Augen verhindert wurde. Es gab zwar bereits geeignete Strickmützen und Ballonmützen mit Schirm, diese konnten jedoch durch ihr enges Anliegen die Aufwändige Frisur durcheinanderbringen.

Der zweiteilige Damenanzug ist sehr sportlich, er demonstriert die fortschrittliche Einstellung der Skiläuferin. Der Sport wurde bei weitem nicht von jeder Skiläuferin in Hosenkostümen ausgeübt, viele trugen weiterhin Skiröcke. 
Das Kostüm wirkt schmucklos und schlicht, deutlich erkennbar eine Teilungsnaht am Rücken, eine körpernahe Armkugel mit einem langen, schmalen Ärmel.
Damit ist es eindeutig ein zweckgebundenes Damensportkostüm ohne jeden Aufputz und überflüssiges Volumen wie beispielweise die damals so beliebten Keulenärmel, Samt und Pelzbesätze oder sehr enge Taillierungen, für die das Tragen eines Korsetts unerlässlich war.
 
In "Der Wintersport" erhält man folgende Ratschläge zu "Kleidung und Hilfsmittel":
"Vielfacher Erfahrung folgend, muß man hier eher vor einem Zuviel als Zuwenig warnen; denn entgegen der allgemeinen Vorstellung empfindet man bei der Ausübung unseres Sportes fast niemals Kälte. So genügt für den gewöhnlichen Skilauf im Mittelgebirge ein starker , nicht zu dicker Lodenanzug vollkommen; erst bei längeren Rasten oder gar Biwaks pflegt sich die Kälte bemerkbar zu machen, und dann ist die gestrickte Wollweste oder Lederweste, die beide die Körperwärme gut zurückhalten, sehr am Platz.                                                                                                                                                             Bei Wanderungen im Schneetreiben oder im Schneesturm wird man auch bald den Vorteil eines glatten Anzugstoffes, Loden oder Cheviot, (Materialbeispiel) gewahr werden, denn an die feinen Härchen eines rauhen Stoffes setzen sich rasch Schnee- und Eiskrusten an, die beim Auftauen auch den besten Loden durchnässen. Die Taschen der Jacke seien womöglich an der Innenseite angebracht, die Hosentaschen mit Knöpfen zum Schließen versehen, denn der Schnee findet seinen weg überall hin." (49)   Die Hände der Dame stecken in hellen Handschuhen mit langen Stulpen. "Der Wintersport" hierzu:
"Es empfiehlt sich auch sehr, die Ärmel durch Knöpfe dicht an das Handgelenk zu schließen, und eventuell die Handschuhe über das Ärmelende zu ziehen. Diese selbst bilden einen weiteren wichtigen Teil der Ausrüstung; man kann von ihnen nie zuviel haben. Ein Paar ist sehr rasch durchnässt und ein Reservepaar das Wenigste, was auf einer Mittelgebirgstour vorhanden sein sollte." (49)
Die beschriebene Sportjacke wird kombiniert mit einer Kniebundhose mit Knopfverschluss am Knie, in der Länge kaum überfallend. "Wie bei den übrigen Bewegungssports, so werden auch beim Skilaufen vorwiegend kurze Hosen getragen, deren unterer Rand durch Schneestrümpfe
und eventuell darüber getragene Gamaschen gegen das Eindringen von Schnee geschützt wird. Sehr praktisch sind Wickelgamaschen, lange oder kürzere Lodenstreifen, die vom Fuß herauf in Form einer Verbandbinde um den Unterschenkel gewickelt werden." (49)
Das "Model" auf der Ansichtskarte hat auch hier gut gewählt, das Bild zeigt eindeutig Wickelgamaschen.

Die Ski-Bindung
Hier ist die Dame nicht auf dem neuesten Stand. Sie läuft mit einer "Meerrohrbindung", einer recht einfachen Bindung gefertigt aus gebogenem Schilfrohr mit Leder umkleidet und mit Lederriemen zu schließen.
Dieser Bindungstyp war nur tauglich für sanft gewelltes Gelände, er gab dem Fuß keinen seitlichen Halt. So schreibt "Der Wintersport":
"Der wesentliche Bestandteil aller festen Bindungen ist eine Art Bügel aus Metall der zu beiden Seiten des Ski die Zehenwurzel des Fußes umfasst, nach oben wird dieser Bügel durch einen Riemen geschlossen, und der Fuß dann von hinten her durch einen Fersenriemen fest in den Bügel hineinpresst. Sitzt die Bindung dann gut, so ist ein seitliches Schlottern des Fußes auch bei heftigen Bewegungen ziemlich ausgeschlossen."
So rät der Autor verschiedenen Bindungsmodellen, als da seien die sehr beliebte Huitfeld-Bindung, Ellefsen Bindung, Schuster Bindung und Schuster-Hock-Bindung. Zur Meerrohrbindung auf der Darstellung bemerkt er nur knapp "Das Prinzip der festen Bindung ist heutzutage vollständig an die Stelle der früher gebrauchten Riemen- und Spanischrohr-Bindung getreten."(46/47)

Das Schuhwerk der Dame wirkt solide, das Leder auf der Illustration glänzt gut gewienert, die Sohle wirkt dick.
Zum Schuh heisst es: "Material und Arbeit sollen so gut wie irgend möglich sein, um eine weitgehende Gewähr gegen Zehen- und Fußerfrierungen zu bieten. Der Stiefel soll ferner so weit sein, daß der Fuß mit zwei Paar Socken bekleidet bequem darin Platz hat, und die Zehen gut bewegt werden können, das ist übrigens auch ein Mittel, um beginnende Zehenerfrierungen zu bemerken und verhindern. Die Sohle des Schuhs ist stark und vorne breit, um Halt zu gewähren in der Bindung. Das Leder sei weich und stark, eine völlige Undurchlässigkeit gegen Wasser - besonders Schmelzwasser - ist kaum zu erreichen." (49/50)
Geraten wird ein nicht zu häufiges Ölen der Steifel mit Marsöl oder einem anderen Lederfett, um einen gewissen Schutz zu bieten.

Der Ski
Im Vergleich zu modernen Ski wirken Spitze und Aufbiegung des Holzskis beachtlich, eine Aufbiegung von 12cm bis 14cm über die Horizontale war üblich. Die Skispitze musste wie ein Schneepflug funktionieren, bewegte man sich doch fast ausschließlich durch weichen und oft tiefen Naturschnee.
Unsere Skidame scheint gewusst zu haben was sie tat: Ihr Ski wirkt optisch ein wenig kürzer als die damals empfohlenen 2,15 Meter bis 2,40 Meter, hierzu heisst es  "für abwechslungsreiches Terrain empfehlen sich eher kürzere Formen, die rasches Wenden und Schwingen erleichtern" (46)

Zitate aus "Der Wintersport", herausgegeben von Hermann Rosenow im Verlag Grethlein & Co. , Leipzig vermutlich um 1912
Die Texte zu den Ski Themen verfasst von  Dr.Ernst Schottelius Die Bilder der originalen Meerrohrbindungen und die dazu gehörige Modellzeichnung stellte der Skisammler L. Bartoli zur Verfügung. Vielen Dank für die Unterstützung. _________________________________________________

Die Rückseite der Ansichtskarte   Poststempel 1912, versendet von Kristiania (Oslo) in Norwegen
nach Charlottenburg bei Berlin
Das 1705 Charlottenburg war ursprünglich eine Stadt,
darum schrieb der Absender in der Anschrift so genau "bei Berlin".
1920 wurde Charlottenburg nach Groß-Berlin eingemeindet und war von nun an ein Berliner Bezirk.

Die Karte wurde sicher mit Bedacht ausgesucht.
Die dargestellte Dame trägt einen braunen Skianzug, der Absender schreibt an seinen Bruder:
"Lieber Sigur,
zu deinem Geburtstage die besten Wünsche. Den braunen Anzug werde ich dir in den nächsten Tagen schicken.
Ich muss ihn erst zusammenpacken und habe augenblicklich so wenig Zeit.
Unter herzlichsten Grüßen an Mutter und Elsa schließt mit nochmaligen besten Wünschen
Dein Bruder"

Schade, der absendende Bruder verrät seinen Namen nicht.
Immerhin heisst der Empfänger Sigur Weichelt.
Wer könnten diese Leute gewesen sein? Das Berliner Adressbuch 1913 bietet unter "Weichelt" einzig einen
Otto, der mit "irgendwas mit Maschinen" in der Mariendorfer Straße ansässig war.
Ab hier muss die Fantasie herhalten: Ob die erwähnte Mutter wohl eine Norwegein war, die einen Otto Weichelt heiratete,
die Kinder wie Sigur und Elsa und den Postkartenschreiber zweisprachig erzog?
Der namenlose Bruder, der den genannten braunen Anzug nach Berlin schicken wird, weilt vielleicht zu Lehre, Studium
oder Familienbesuch in Kristiana?
Man wird es ohne Zugang zu diversen Archiven wohl kaum ermitteln können. Meine Leserschaft darf hier der Fantasie freien Lauf lassen und sich selbst eine Geschichte dazu ausdenken :-)